ÜBER LIVE-ELEKTRONIK
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Elektronik ist mehr als ein Hilfsmittel, um einen moderneren Sound hinzubekommen, mehr als ‚nur‘ Knöpfchendrücken. Es ist ein anderes Konzept, Musik zu machen. Das Konzept schlechthin, zeitgemäße Musik zu machen. Musik, die eine Relevanz hat, nicht nur künstlerisch, sondern auch soziokulturell. Wie gehen wir Menschen mit unseren technischen Errungenschaften um, welche Schlüsse ziehen wir aus unserer selbstentworfenen Kultur und wie können wir damit auf eine positive Art und Weise arbeiten?
Der Einsatz von Live-Elektronik in Kombination mit dem akustischen Schlagzeug ist für mich eine logische Fortführung der Entwicklung dieses Instruments. Schon immer war es ein Hybrid aus Klängen unterschiedlicher Kulturen, hat sich immer schon Altem und Neuem bedient und ist für mich das Instrument, das am flexibelsten von seinen Spielern entworfen wird und in dessen Aufbau sich der Charakter des Instrumentalisten am besten zeigen kann. Deshalb ist es für mich sehr wichtig, diese Tradition fortzuführen.​
Ich möchte mich dieser Tradition bedienen und damit der analogen Klangwelt. Für mich ist es wenig interessant, vorgefertigter Samples zu verwenden und durch mein Zutun, zum Beispiel auf einem Sample Pad, als Musiker lediglich einen Start/Stopp Knopf zu drücken. Darum habe ich mich dazu entschlossen, keine vorgefertigten Samples zu verwenden, sondern Klänge, die innerhalb einer Performance entstehen, durch den Einsatz von Elektronik weiterzuentwickeln.
Ausgangsbasis für diese Klänge bleibt immer eine akustische oder durch analoge Elektronik erzeugte Klangquelle, die sich im Moment bewegt und für mich weitaus mehr bieten als ein vorgefertigter Klang. Das führt zu einer viel mehr philosophischen Auseinandersetzung mit dem Thema:
Wie leben wir im Moment?
Was ist der Moment?
Was ist Musik dabei für uns?
Wie entstehen Klänge (durch unser Zutun)?
Wie viel spielt unsere Umgebung in einem Klang mit, sei es auch nur der kleinste Einfluss?
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Für mich ist diese Art, Musik zu machen, eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Moment und sehr nahe an dem Gedanken der Improvisation, selbst wenn ich ein komponiertes Stück spiele.
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In der Tradition der Schlagzeuger liegt es auch, durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln, mehr Aufgaben in einer Person zu vereinen, als das vor den technischen Errungenschaften der Fall war. Beispiele sind Entwicklungen wie die Fussmaschine und die HiHat-Maschine, die einer Person die Möglichkeit gegeben haben, mehr zu kontrollieren. Ein Schlagzeuger übernimmt heutzutage alleine, was vor der Entstehung des Drumsets noch vier Personen gemacht haben.
Da gibt es natürlich eine Licht- und eine Schattenseite: wir wollen keine Ein-Mann-Band-Welt, sondern den Kontakt zwischen Musikern und Menschen spüren. Gleichzeitig suchen wir danach, als einzelne Person mehr zu kontrollieren. Und das kann eben auch positiv für das künstlerische Ergebnis sein: ein homogenes und konsequenteres Abbild der Vorstellung des Künstlers.
Nun gibt es eben die technischen Fortschritte des 21. Jahrhunderts, die einer Person noch viel mehr Möglichkeiten geben, ihre Gedanken in noch detaillierterer Form im Moment umzusetzen. Für mich hört das, wie Anfangs gesagt, nicht bei Knöpfchen drücken, Fader schieben und Potis drehen auf. Wir müssen mehr in die Tiefe gehen. Wir können uns nicht damit begnügen, durch eine Aktion ein exakt vorhersehbares Ergebnis zu liefern. Das bringt keine Tiefe. Wir müssen Instrumente daraus bauen, Kombinationsmöglichkeiten erschaffen, uns Restriktionen auferlegen und daraus Freiheit gewinnen. Wir können intelligente Systeme erschaffen, die uns bestimmte Tätigkeiten abnehmen und uns gleichzeitig Inspiration liefern für unsere nächsten Schritte. Wir dürfen die Technik nicht nur als Hilfsmittel betrachten sondern können ihr durch uns einen Charakter geben.
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Dann bietet die technische Welt für uns noch eine andere Chance: wir können durch schnelle Computer, Mischpulte und eine kompaktere Technik viel mehr Prozesse im Hier und Jetzt umsetzen. Prozesse, die früher zwei oder mehr voneinander getrennte Schritte beinhalteten und teilweise unterschiedliche räumliche Voraussetzungen hatten:
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Komposition
Instrumentierung
Arrangement
Interpretation
Performance
Recording
Produktion
Mixing
Mastering
Spatialisierung
Alle können heutzutage in einem Moment entstehen. Wir können unsere Vorstellung also extrem weiten. Ein Prozess, der viel Zeit, Muße und Geduld bedarf. Verständlich, dass nicht jeder Musiker diesen Prozess durchlaufen möchte, weil wir uns auf den ersten Blick von unserer Kunst, unserem Instrument, unserer Art und Weise uns auszudrücken entfernen. Am Ende wird sich der Kreis aber schliessen, denn alles, was in jedem einzelnen Schritt enthalten ist, ist für jeden Weiteren von Bedeutung. Wir können die Schritte nicht voneinander abgrenzen. Die DNA ist in allen Zellen enthalten:
Recording = Komposition
Arrangement = Mixing
Interpretation = Performance
usw.
An uns Künstler auf der Bühne:
Warum sollen wir uns darauf beschränken, dass eine CD-Aufnahme ein mehr oder weniger schlechtes Abbild einer Live-Performance ist? Warum sollen wir nicht genau damit künstlerisch arbeiten? Und warum sollen wir dieses künstlerische Produkt nicht wieder in die Echtzeit verfrachten? Ein kreativer künstlerischer Umgang mit einer Aufnahme, die - um den Kreis zu schließen - dann wieder Einfluss auf die Performance nimmt.
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